
Diese Shortstory ist vor vielen Jahren entstanden und stammt aus meiner Feder. In diesem Beitrag habe ich das Stilmittel der originellen Vergleiche verwendet, das ich im Lektorat gerne empfehle, beispielsweise: "In meinem Schädel macht sich ein riesiges schwarzes Loch à la Star-Trek breit ..."
Begegnung mit dem inneren Schweinehund
Ich wäre gern Bestsellerautorin. Dann hätte ich Luxusvilla, Pool und Literaturagent und könnte am laufenden Meter und mit goldenem Lamy Schmöker signieren. Ich kann schreiben wie Effe, habe Fantasie wie Nina Hagen und bin diszipliniert wie Prinz Harry. Nur einen Haken gibt’s: Ich habe keine Zeit. Man nennt das auch Momo-Syndrom.
In seinem Lei(d)faden für Schriftsteller bemerkt James Frey: „Um Zeit in das Schreiben stecken zu können, muss man sie eben von anderen Dingen abziehen, zum Beispiel von anderen Jobs, von Freunden, von der Familie, vom Kloputzen.“ Der Mann hat gut reden, er ist bereits Bestsellerautor. Mich jedoch lassen die drögen Pflichten des Alltags weder rasten noch ruhen. Es mangelt an Muße. Nehmen wir heute Vormittag:
Ich quäle mich an den Schreibtisch. In meinem Schädel macht sich ein riesiges schwarzes Loch à la Star-Trek breit, die unendliche Weite des Weltraums ist ein Nichts dagegen. Vielleicht sollte ich mich auf Ideensuche begeben und einen Blick in die Wetterauer Zeitung werfen...? Ich vertiefe mich ins Blatt und stoße auf einen Artikel über das Klima auf der Grünen Insel. Das interessiert mich. Ich reiße die Seite heraus. Vielleicht kann ich den Bericht ja als Schreibanregung verwenden. Bloß... wohin jetzt damit? Vielleicht mit Uhu ins Ideenbuch einkleben? Früher hatte ich eins, wo ist es nun? Die Suche bringt null.
Ich beschließe, in die Stadt zu gehen, um eine Kladde zu kaufen. Das wird mich zwar ein halbes Stündchen kosten, gehört aber zur Recherche. In der City treffe ich Helma. Sie erzählt mir von ihrem Besuch beim Homöopathen, der ihren eingewachsenen Zehennagel gesundgesprochen hat. Zum Schwatzen habe ich jetzt wirklich keine Zeit, ich muss eine Erfolgsstory schreiben. Andererseits, vielleicht kann man das Ganze für eine Glosse verwenden. Ich folge Helmas Vorschlag, einen Latte Macchiato zu trinken. Koffein ist gut gegen Watte im Kopf.
Zwei Stunden später bin ich zurück. Das Ideenbuch habe ich glatt vergessen, dafür aber Essbares vom Tengelmann im Gepäck. Beim Auspacken denke ich, wie gut mir ein Corned-Beef-Brot täte. Mit Brettchen und Stulle setze mich an den Schreibtisch. Nachdem ich gespeist habe, fahre ich den PC hoch. Plötzlich durchzuckt mich eine Idee: Wie wäre es, wenn ich ein Brainstorming mache, einfach so ins Diktaphon hinein? Ich spule die Kassette zurück, dabei fällt mir auf, die Akkus beginnen zu versagen. Sie müssen aufgeladen werden. Im selben Moment klingelt das Telefon, der Briefträger kommt, Staubballen müssen entfernt werden.
Ein hastiger Blick auf die Uhr sagt mir, es ist bereits elf, in anderthalb Stunden steht die Familie auf der Matte. Dann ist Essig mit Schreiben, weil ich Gares servieren muss. Jetzt aber ran. Ich muss etwas zustande bringen – wenn nicht heute, wann dann?
Geistesblitz! Ich weiß, was ich schreibe: Eine Story über mein leidiges Zeitproblem. Ich notiere Stichworte, beginne zu fabulieren, na, bitte, es geht doch. James Frey wäre stolz auf mich. Diese Story hat Bestsellerqualitäten. Hallo Pool, hallo Traumhaus, hallo goldener Lamy! Heute bringt mich nichts mehr ab.
Eine Seite ist schon im Kasten, nur noch der Schluss fehlt. Ein Happy End soll es sein. Das liest sich immer gut. Aber: Rien ne va plus. Dann halt ein offenes Ende. Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen... und Datei schließen.
Denn ganz unter uns: Ich habe noch nicht nach den E-Mails geschaut.
Eure Lektorin Petra Ihm-Fahle