Die Skandalgräfin
In meinem Regal habe ich ein Buch von Franziska Gräfin zu Reventlow gefunden. Es ist 1925 im Verlag Albert Langen in München erschienen und gehörte meiner Großmutter Willi Ihm, die vorne mit Bleistift ihren Namen reingeschrieben hat. Meine Idee war, aus diesem Buch, überhaupt aus alten Büchern, kleine Lesungen auf YouTube zu gestalten. Aber ich dachte mir dann, dass es vielleicht nicht möglich ist, denn eventuell bestehen Urheberrechte darauf. Ich habe mich spaßeshalber mit meinem Handy gefilmt, während ich aus diesem Buch vorgelesen habe. Nur eine Seite, und zwar aus dem Teil "Tagebücher", habe es aber nicht online gestellt. Es umfasst die "Gesammelten Werke" und ist über 1200 Seiten stark. Das war mir auf den ersten Blick gar nicht so bewusst, so dick ist das Buch gar nicht, aber das Papier ist sehr dünn. Mehrere Romane sind enthalten, die einen interessanten Eindruck erwecken. Ich habe anschließend über Franziska nachgelesen, stellte dabei fest, dass sie eine sehr interessante Schriftstellerin war und ihre Literatur ganz und gar nicht nicht verstaubt ist. Vielmehr wird sie heute noch bearbeitet und herausgegeben. Auf YouTube habe ich einige Hörbücher gefunden.

Franziska wurde am 18. Mai 1871 in Husum geboren. Ich habe überlegt, ob ich mich etwas intensiver mit ihr befasse, mich informiere und vielleicht eine Biografie schreibe. Es gibt allerdings schon drei Werke über sie. Die Frage ist eben, ob ich dazu die Zeit habe - aber ich habe mich ja schon mal durch ein altes Buch inspirieren lassen: „Ostern“ von Großherzog Ernst Ludwig. Ja, daraus ist die Ernst-Ludwig-Buchmesse entstanden, 2016/17 gemeinsam mit Beatrix van Ooyen. Also, sagen wir so: Die Messe wäre eventuell so oder so entstanden - aber dass es die Ernst-Ludwig-Buchmesse wurde, war aufgrund des Buchs "Ostern".
Im Internet habe ich einige Artikel zu Franziska gefunden, die auch Fanny genannt wurde, darunter einen großen Wikipedia-Eintrag. Sie wurde als „Skandalgräfin“ bezeichnet, denn sie war sexuell befreit, hatte zahlreiche Liebschaften. Sie war eine Revoluzzerin, was sich für Frauen damals nicht "ziemte", auch, dass sie gegen den Willen ihres Elternhauses Malerin (später Schriftstellerin) wurde. Sie setzte es durch, litt aber Zeit ihres Lebens an Geldsorgen und schlug sich mühselig durch. Ich habe mir die Leseprobe einer der Biografien angeschaut (Kerstin Decker: Franziska zu Reventlow, Berlin Verlag). Demnach war sie rebellierend, auch als Jugendliche in dem christlichen Internat, in dem sie nicht sein wollte. Dort wurden Mädchen, die sich nicht an die Regeln hielten, geschnitten - und das traf auch Franziska. Die Vorsteherin ordnete dieses Mobbing an. Es muss ziemlich furchtbar gewesen sein ... Franziska litt darunter, dass sie oft ungerecht behandelt wurde; ihre Mutter war sehr streng und lieblos gewesen, konnte mit ihrer ungestümen Art nichts anfangen. Die Tochter überwarf sich so sehr mit ihrer Familie, dass die Mutter sie nicht einmal zum Vater vorließ, als er auf dem Sterbebett lag. Kurz darauf heiratete sie dann aber einen Mann, der Verständnis für ihre künstlerischen Ambitionen hatte und sie finanziell förderte. Doch sie betrog ihn in ihrem künstlerischen Umfeld in München, wurde schwanger, verlor das Kind und gestand ihm dies nach zwei Jahren. Daraufhin ließ er sich scheiden, worunter sie sehr litt. Zwei Jahre nach der Trennung bekam sie einen Sohn, den sie als Alleinerziehende groß zog. Sie soll die geborene Mutter gewesen sein. Franziska starb am 26. Juli 1918 in dem Ort, in dem ich geboren wurde - in Muralto im Tessin. Dorthin war sie 1916 gezogen. In die Schweiz, zunächst nach Ascona, war sie gegangen, um dort einen lettischen Baron zu heiraten. Es war eine Scheinheirat, denn der Mann sollte bloß erben, wenn er seinem Vater eine standesgemäße Heirat vorweisen konnte. Er und Franziska wollten sich das Geld teilen, allerdings flog die Sache auf. Als Erbe gab es mithin nur den Pflichtteil und auch das verlor sie beim Tessiner Bankencrash. Sie soll durch einen Fahrradunfall umgekommen sein; ihre Schwiegertochter Else Reventlow berichtet in dem Vorwort zu den "Gesammelten Werken" allerdings, ein altes Leiden habe sie ereilt und sie sei bei der anschließenden Operation gestorben.

Eure Lektorin Petra Ihm-Fahle