
Als ich kürzlich zu Gast bei einem Fernsehkoch war, um für die Zeitung ein Silvester-Menü mit ihm zu kochen, fiel mir meine frühere Ehrfurcht für Spitzenköche ein. Ich koche nicht gut, hatte zeitweise aber auch das Kochen zu meinem Hobby gemacht und bastelte an einer Koch-Homepage. Meine allererste Short Story, die vor über 20 Jahren entstand, dreht sich um die Gastronomie. Ein Krimi, was sonst. Der Titel lautete zunächst "Grande Cuisine und Griebenschmalz", allerdings riet mein Autorenclub ab. Deshalb heißt das Werk "Nach Art des Hauses". Erschienen ist es in unserer Anthologie "Stories in Aspik". Hier ist eine Leseprobe.
Nach Art des Hauses
Petra Ihm-Fahle
Während Mareike den Hochglanzband aufschlug, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Heute vielleicht Seeteufelmedaillons zu zweierlei Saucen? Konzentriert studierte sie die Zutatenliste. Das „ABC der Haute Cuisine“ war ihre Bibel, Fast Food empfand sie als kulinarische Todsünde.
In ihren Augen verlief ein Tag soviel aufregender durch das Kochen eines aufwändigen Menüs oder den Besuch eines Gourmet-Tempels.
Sicher, auch sie blickte auf eine Zeit zurück, in der es anders war. In der sie sich von Kartoffelchips und Nudeln ernährte.
Dann der Öko-Trip. Die Trennkost-Phase. Schließlich jedoch – zum Glück – der heftige und unausweichliche Wendepunkt. Er kam plötzlich, und vor allem erschien er in Form von Roland Karmann.
Es war ein eiskalter Winterabend, und Mareike saß vor dem Fernseher. Das Programm langweilte sie. Gähnend wollte sie ausschalten, als ein Filmbeitrag über den Gastronomiekritiker angekündigt wurde. Sein Name sagte Mareike nicht viel, doch die eingeblendete Hintergrundaufnahme zog sie sofort in ihren Bann.
Karmann war das Bild eines Mannes. Dichtes, blauschwarzes Haar. Strahlend blaue Augen, erotische Lippen im markanten Gesicht. Mareike legte die Fernbedienung auf die Ablage und lehnte sich wieder zurück. Interessiert verfolgte sie das Interview, das sie von Minute zu Minute mehr beeindruckte. Karmanns Tätigkeit bestand darin, von Restaurant zu Restaurant zu ziehen und die genossenen Speisen zu bewerten. Als leidenschaftlicher Esser schrieb er Bücher zum Thema, von denen er hervorragend leben konnte. Er war ein Mann, der tat, was ihm Spaß machte – im Gegensatz zu Mareike, die sich im ungeliebten Beruf quälte. Wie gerne wäre sie der Gesellschaft, die in ihren Augen nur Leistung und Funktionieren verlangte, entflohen! Wie gerne hätte sie sich selbst verwirklicht.
Er hatte es geschafft, und dafür betete sie ihn an.
Fortan beschäftigte Mareike sich intensiv mit ihm, seinen Kochbüchern und kulinarischen Glossen. Jedes seiner Rezepte kochte sie nach, viele der von ihm empfohlenen Weine probierte sie aus. In ihren Töpfen trafen nur noch exquisite Zutaten aufeinander, auf die Teller kam nur Auserlesenes.
Die Grand Cuisine machte sie glücklich, und so entschied sie sich eines Tages zu einem Urlaub, der dieser Neigung voll und ganz entsprach.
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