Gesegnete Ostern

Vor 85 Jahren kam mein Vater Peter Ihm an Ostern in die Schule. Seine Kindergärtnerin überreichte ihm zum Abschied ein kleines Fotoalbum mit Bildern aus seiner Zeit im Spielkreis. Dazu schrieb sie ihm einen sehr netten Brief, den er aufgehoben hat. Sie hieß Lucie Ritter und muss eine recht einfühlsame Erzieherin gewesen sein - man kann es spüren, wenn man ihre Zeilen liest. 

Das letzte Bild zeigt meinen Vater stolz mit der Zuckertüte, er strahlte, weil er in die Schule kam. Da tut er mir fast Leid, wie alle Kinder, wenn sie in die Schule kommen. Sie sind überglücklich, aber es beginnt der Ernst des Lebens.

Im Fall meines Vaters kommt hinzu, dass die Einschulung kurz nach der Machtergreifung der Nazis war, Ostern 1933 war am Sonntag, 16. April. Eine Zeit begann für unser Land, von der die unbeschwerten Bilder aus dem kleinen Album noch nichts ahnen lassen. Hier sind die Fotos und der Brief der Kindergärtnerin. 

Lieber Peter!

Es war im Winter 1930, als Du zu uns kamst. Zum ersten Male musstest Du aus Deinem warmen Nestchen, das von Großeltern, Tantens und Eltern so treu bewacht war. Darum fiel es Dir auch nicht leicht,  Dich unter den anderen Kindern zu bewegen. Wie ein kleines Vögelein, das Schutz suchte, hingst Du ständig an meiner Hand. Du hast zwar die ersten Tage tapfer gekämpft und sagtest nur "die Tränen kommen ganz allein". Das war aber bald vorbei. Die Kinder im Spielkreis waren ja auch lieb zu Dir, wenn auch Manfred und Buko sehr wild waren. Nun kam ja all das Schöne, worauf sich alle Menschen und Kinder freuen. Weihnachten, und vorher die schöne Vorfreude, Geheimnistuerei und Fleiß. Ja, da erlebtest Du zum ersten Male, wie das ist, wenn man Mutter und Vater etwas arbeiten darf. Wie stolz warst Du, als Du mit Deinen sieben Sachen heimgehen durftest. - Nun kam bald die Zeit, wo die goldene Frühlingssonne schien und wir nicht mehr im Zimmer blieben. Jeden Tag im langen schönen Sommer verbrachten wir draußen. Wir sahen die Blümchen, Bäume und Gräser wachsen, hörten die Vögel und sahen zu, wie die kleinen Eichhörnchen an und auf den Bäumen Nachlauf und Fang spielten. - Und da bist Du auf einmal ein richtiger Bub geworden. Du wehrtest Dich gewaltig, wenn Ihr Streit hattet, und konntest Dich über Paula kaputtlachen, die vom "Rodontuche (?) erzählte". Oder über Liesel, deren Mutter "das Futter zugenäht" hatte (angeblich). An Fastnacht, als Feuerwehrmann warst Du besonders schön, und meintest bestimmt, alle Leute hielten Dich für einen wirklichen Feuerwehrmann. - Nun bist Du groß und kommst in die Schule. "Glück zu"

Der ganze Spielkreis und Deine Tante Lucie Ritter

Ostern 1933